Es klingt zu ungeheuerlich, zu schrecklich, um wahr zu sein und doch ist es nun auch von höchst offizieller Stelle bestätigt: Der systematische Missbrauch von Schutzbefohlenen in christlichen Einrichtungen hat statt gefunden und der Staat hat das System nicht nur finanziert sondern auch gedeckt. Letzteres gibt man zwar nicht offiziell zu, doch es ist impliziert. Was die extra eingesetzte Untersuchungskommission der Regierung dieser Tage in Dublin verkündete, treibt nicht nur den betroffenen Opfern die Zornesröte ins Gesicht.
Systematische Missbrauch von Schutzbefohlenen
Über Jahrzehnte wurden tausende Kinder in katholischen Einrichtungen gedemütigt, misshandelt und missbraucht. Der irische Staat, lange eng verflochten mit der Kirche, finanzierte das System. Er zahlte eine Art Kopfprämie an die Einrichtungen, sodass es sich rentierte, so viele Kinder wie möglich aufzunehmen.
Bei den Einrichtungen handelte es sich um Besserungsanstalten, Arbeitsheime und Waisenhäuser. Verwaiste oder auch einfach ungewollte Kinder wurden von willfährigen Gerichten an diese Einrichtungen geschickt. Die meisten der Kinder hatten niemanden, an den sie sich wenden konnten und waren den “Betreuern” schutzlos ausgeliefert.
Die im Schnitt gerade einmal acht Jahre alten Kinder wurden körperlich und emotional missbraucht, in etlichen Einrichtungen auch sexuell. Es herrschten schockierende Zustände.
Der Vatikan wusste Bescheid
Besonders umtriebig waren dem Bericht zufolge die “Christlichen Brüder” (Christian Brothers). Die beiden größten Einrichtungen dieser Christlichen Brüder in Artane und Letterfrack fanden eine ausdrückliche Erwähnung im Bericht der Kommission. In diesen sogenannten Industrial Schools ging es demzufolge besonders schlimm zu. Hier hatte der sexuelle Missbrauch von Knaben regelrecht System.
Beweise dafür fand die Kommission ausgerechnet in den Archiven des Vatikans. Die Zustände waren also bekannt und wurden über Jahrzehnte vertuscht. Es sind tiefe Abgründe, die sich da auftun und wir reden hier nicht übers Mittelalter. Die Mehrzahl der Vorfälle fällt in die Jahre zwischen 1936 und 1970, aber der Missbrauch hörte mit der Schließung der viktorianischen Anstalten nicht auf. Und auch das stellte die Kommission ausdrücklich fest.
Die Magdalenen Schwestern
Etwas zivilisierter – wenn man dieses Wort in diesem Zusammenhang überhaupt gebrauchen will – ging es in den Anstalten für Mädchen zu. Bei den “Schwestern der Barmherzigkeit” (Sisters of Mercy) wurden Mädchen “nur” körperlich missbraucht. Wie traumatisch dies für die Mädchen war, versuchte der Film “Die Magdalenen Schwestern” (Magdalene Sisters) aufzuarbeiten.
So schockierend der Film ist, wie betroffen er auch macht, er streift die Realität nur. Viel bezeichnender ist, dass eine über 70 Jahre alte Großmutter mit Alzheimer (und das ist ein bericht aus erster Hand) heute noch Tränen in den Augen hat, wenn das Thema auch nur erwähnt wird.
Die Mädchen wurden gequält und missbraucht. In den “Magdalen Laundries” zum Beispiel wurden sie als “gefallene Mädchen” nicht nur als Arbeitssklaven ausgenutzt sondern obendrein gedemütigt.
Aufgedeckt von Journalisten
Aufgebracht wurden die Zustände über den systematische Missbrauch von Schutzbefohlenen in christlichen Einrichtungen weder von der Kommission, noch der Kirche, noch dem Staat. Ganz im Gegenteil: Die Einsetzung der Kommission wurde durch eine Fernsehdokumentation (States of Fear) erst erzwungen.
Bertie Ahern, damals Ministerpräsident, entschuldigte sich im Namen des Staates schon 1999 für die Geschehen. Das hielt die Regierung allerdings nicht davon, die Arbeit der Kommission zu sabotieren. Eine Aufklärung war und ist unerwünscht. Mittlerweile leistete auch das irische Kirchenoberhaupt Kardinal Brady öffentlich Abbitte im Namen der Kirche. Aber, auch die Kirche tat ihr Möglichstes, um die Publikation des immerhin 2500 Seiten starken Berichts zu verhindern.
Die Christian Brothers kommen in dem Bericht besonders schlecht weg und sie waren es auch, die sich am heftigsten wehrten gegen die Kommission. Sie erreichten, dass in dem Bericht keine Namen genannt werden. Was die Opfer mindestens genauso empört ist, dass die Kommission die Verwicklung der Gerichte nicht untersucht hat. Wie ehrlich meint es die Regierung mit der Aufklärung?
Der Ruf der Kirche ist ruiniert
Der Ruf der Kirche hat in den vergangenen Jahren so sehr gelitten, dass der Bericht kaum noch einen Unterschied macht. Immer wieder kamen Berichte über sexuellen Missbrauch durch Priester ans Licht. Immer wieder kamen hohe Würdenträger unter Beschuss, weil sie nicht energisch gegen die Missstände vorgingen, obwohl sie lange bekannt waren. Vertuschung und Verharmlosung waren praktisch an der Tagesordnung. Die irische Kirche steht mit dem Problem natürlich nicht allein.
Es könnte sogar noch schlimmer kommen. Was noch aussteht ist der Untersuchungsbericht zu Missbrauch in der Diözese Dublin und zumindest dem Erzbischof von Dublin schwant böses. Er warnte schon öffentlich, dass die Ergebnisse in dem Bericht bestürzend seien. Bis zu 500 Priester könnten in Missbrauchvorwürfe verwickelt sein und das wollen wir uns gerade nicht in Prozenten vorstellen.
Halbherzige Entschuldigungen
Mittlerweile entschuldigte sich auch der Provinzial der Christian Brothers öffentlich, wie glaubhaft die Entschuldigung bleibt aber dahin gestellt. Echte Aufarbeitung sieht anders aus. Die Opfer diese christlichen Brüder und barmherzigen Schwestern glauben den öffentlichen Beteuerungen offenbar nicht und verlangen strafrechtliche Konsequenzen.
Dass die Verwicklung des Staates in dem Bericht herunter gespielt wurde, ist für die Organisation der Opfer (SOCA) ein Skandal und das Ergebnis unbefriedigend. Bei der finalen Verlesung des Kommissionsberichts wurden die Opfer nicht zugelassen. Vermutlich fürchtete man Tumulte.
Dass kirchliche Organisationen und staatliche Stellen die Arbeit der Kommission sabotierten, ist belegt. Die erste Vorsitzende der Kommission – Richterin Mary Lafoy – trat aus genau diesem Grund zurück. Sie fühlte sich offenbar der Wahrheit verpflichtet und musste sich nach drei Jahren harter Arbeit eingestehen, dass die Auftraggeber des Berichts genau daran wenig Interesse hatten.