Was wäre die EU ohne die Iren? Schon wieder hängt es an den Insulaner, einem paneuropäischen Beschluss den Anstrich demokratischer Legitimation zu verpassen. So etwas traut sich wirklich nur die irische Regierung. Nun ist also Angies schlimmster Albtraum Wirklichkeit geworden. Der irische Inselkanzler Enda Kenny hat ein Referendum ausgerufen, um den Euro-Fiskalpakt seinem Volke zur Abstimmung zu reichen.
Da werden im Kanzleramt sicher keine Sektkorken knallen. Für mich als lupenreinen Demokraten (Herr Schröder A.D. wird mir diesen Titel sicher zugestehen) sind das eher gute Nachrichten. Ich denke nämlich, dass fundamentale Änderung in europäischen Verträgen (genauso übrigens wie Eingriffen in den nationalen Wertekanon) denjenigen vorgelegt werden sollten, die es betrifft. Uns!
Die Rechnung zahlt in der Regel ja der Steuerzahler. Zumindest bekommt er am Ende die Quittung. Warum also die Aufregung? Weil schon wieder 4 Millionen Iren über das Wohl und Wehe von einer Union mit 500 Millionen Bürgern bestimmen? Unfug! Anders herum wird ein Schuh draus. Es ist eine Frechheit, dass wieder nur die Iren gefragt werden!
Die Bürger sollen abstimmen
Die Iren sind bekennende Europäer. Sie mögen sich an manchen Dingen in der Vergangenheit gerieben haben, sie sind aber weder Nörgler, noch Bremser. Sie stehen auch nicht im Verdacht, irgendjemanden eins auswischen zu wollen. Schon des Öfteren wurden sie zum demokratischen Gewissen Europas. Paris und Berlin trauen ihrem eigenen Wahlvolk offensichtlich nicht über den Weg. Oder sind es ihre eigenen Argumente?
Sollte in Paris und Berlin jetzt wieder das Gejammer losgehen, dann hoffe ich, dass die Iren den Vertrag ablehnen. Das wäre nur gerecht. In dem Fall muss nämlich nachverhandelt werden und vielleicht lernen unsere gewählten Volksvertreter ja auch endlich mal ihre Lektion. Wir zahlen deren Gehälter, damit sie unsere Interessen wahrnehmen. Was unsere Interessen sind, würden wir – zumindest gelegentlich – aber auch mal zu Gehör geben wollen! Sich alle vier Jahre zwischen ein paar Parteien zu entscheiden, die am Ende alle dasselbe wollen, zählt da nicht wirklich.
Jetzt soll Irland es also richten. Mal wieder. Recht so!
Referendum zum Fiskalpakt
Was passiert jetzt? Im Prinzip haben die Iren ja gerade profitiert von Europa. Nachdem die einheimischen Banken in einer beispiellosen Hinterzimmernachtundnebelaktion – ich schreib das mal zusammen, weil sich die Beteiligten anscheinend beim goldene Handschläge verteilen wirklich so nah standen, dass kein berühmtes Blatt Papier dazwischen gepasst hätte – beschlossen haben, dass es völlig in Ordnung ist, wenn ein paar halbseidene Schlipsträger eine ganze Volkswirtschaft in den Ruin treiben, war Irland auf Hilfe aus Europa angewiesen. Diese Hilfe haben die Europäer auch gern gegeben. Die Iren hätten sicher auf das Kluggesch***e aus Berlin und Paris verzichten können, aber wer den Schaden hat, braucht für den Spott bekanntlich ja nicht zu sorgen. Die wissen also, was sie an Europa haben.
Nun würde ich allerdings nicht unterschreiben, dass die Iren in einer moralischen Bringschuld stehen. Schließlich zahlen sie Zinsen für die Hilfe und haben auf Druck aus Brüssel ihrem einfachen Volk im Gegenzug Belastungen zugemutet, die anderswo zum Aufstand geführt hätten. Eigentlich schuldet Europa also den Iren etwas. Schließlich haben sie bewiesen, dass man auch aus einer extrem verfahrenen Situation wieder herauskommen kann.
Die Iren wissen sehr wohl, dass sie ohne Europa nicht nur bis zum Hals in der Sch***e gesteckt sondern einen extrem langen Schnorchel gebraucht hätten. Das sollte unsere Bundesangie nicht vergessen. Irland ist sich bewusst, was es Europa verdankt und wie wertvoll die EU-Mitgliedschaft für das Land ist.
Ein Hoch auf die Iren
Auch Taoiseach Enda Kendy weiß es. Er machte in seiner Rede entsprechend klar, dass er einen positiven Ausgang des Referendums erwartet. Er appelliert eindringlich an seine Landsleute, dass Irlands zukünftige, wirtschaftliche Prosperität daran hängt, dass der Vertrag angenommen wird. Trotzdem geht er das politische Risiko ein. Dafür applaudiere ich ihm. Und das tue ich nicht zum ersten Mal.
Was wirklich traurig ist; es hängt mal wieder einmal am kleinen Irland, Europa die Demokratie zu erklären. Ausgerechnet Europa! Dabei hält Europa so gerne anderen Ländern und Kulturen den Spiegel hoch und schwenkt die moralische Keule. “Wasser predigen und Sekt saufen” nennt man das. Im Englischen nennt man scheinheilige Moralapostel übrigens hypocrites. Im Deutschen gab es dieses (Fremd-) Wort auch einmal. Das deutsche “Heuchler” beschreibt es aber auch ganz gut.